Der „Oscar für Überwachung“, wie die Zeitung Le Monde den Big Brother Award (BBA) nennt, wurde an diesem Wochenende in der Hechelei in Bielefeld, der Stadt die es nicht gibt, verliehen. Keine Überraschung war, dass niemand der Nominierten zur Verleihung erschien.
Seit dem Jahr 2000 wird dieser Preis an Firmen, Organisationen und Personen verliehen, die in „besonderer Weise und nachhaltig die Privatsphäre von Menschen beeinträchtigen oder persönliche Daten Dritten zugänglich machen.“ In der langen Geschichte des BBA hat der Verein FoeBud e.V. die Awards von einer kleinen Kellerveranstaltung zu einem renommierten und international angesehenen Event wachsen lassen.
Der BBA wurde vom bereits 1987 gegründeten Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten – kurz FoeBuD e.V. – initiiert. Zu den Juroren der diesjährigen BBA Awards gehörten Rena Tangens, Paadelum (beide FoeBuD), Karin Schuler von der Deutschen Vereinigung für Datenschutz e.V., Frank Rosengart vom Chaos Computer Club, Alvar C. H. Freude vom Förderverein Informationstechnik und Gesellschaft e.V. Werner Hülmann (Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung e.V.), Prof. Dr. Fredrik Roggan (Humanistische Union e.V.) sowie der Menschenrechtsanwalt Rolf Gössner (Internationale Liga für Menschenrechte).
Der BBA machte bereits auf Datenschutzprobleme bei Kundenkarten aufmerksam und deutete auf die Risiken von RFID-Chips hin. Lange vor den öffentlich gemachten Skandalen bei Lidl, der Telekom, der Deutschen Bahn und anderen, erhielten diese Konzerne die BigBrotherAwards für die Überwachung von Mitarbeitern und Kunden. Otto Schily und Brigitte Zypries wurden auch schon für die Einschränkung der Bürgerrechte mit diesem Preis bedacht.
In diesem Jahr sind die Gewinner bzw. Verlierer der Big Brother Awards: (Trommelwirbel)
In der Kategorie Sport wurde dem Berliner Organisationskomitee der Leichtathletik-WM der BBA-Preis zuteil. Denn zur Leichtathletik WM in Berlin 2009 mussten die Journalisten sich einer Sicherheitsüberprüfung unterziehen, bevor sie die Erlaubnis erhielten, über bestimmte Ereignisse oder Veranstaltungen zu berichten. Dieses widerspricht dem Grundgesetz Art. 5 Abs. 1:
„Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.“
Stellvertretend für viele Unternehmen, die ihre Angestellten überwachen, hat die Firma Claas Landmaschinen GmbH den BBA der Kategorie Arbeitswelt bekommen. Die komplette Laudatio enthält weitere Kandidaten, die diesen Award ebenso ohne Weiteres hätten erhalten können. Darunter sind auch die Deutsche Bahn, die Deutsche Post und auch der Lebensmitteldiscounter Lidl zu finden.
Bei der Kategorie Wirtschaft konnten sich die Juroren einfach nicht für ein einziges Unternehmen entscheiden und vergaben gleich großzügig Awards an Firmen für Überwachungstechnik: Quante Netzwerke GmbH, Utimaco Safeware, Datakom, Syborg, Digi-Task, secunet, Cisco und auch an Nokia Siemens Networks. Dies zeigt, dass mit der Datenkrakenattitüde der Bundesregierung viele Firmen sich genau an dieser Politik bereichern wollen und keine Probleme damit haben in die Privatsphäre von Personen einzudringen, um eine vermeintlich höhere Sicherheit zu gewährleisten.
Besonders bedanken dürfen sich die Firmen bei den Politikern Ursula von der Leyen und Wolfgang Schäuble. Diese sind auch beide mit einem Award aus Bielefeld ausgezeichnet worden. Ursula von der Leyen hat den Award in der Kategorie Politik erhalten, da sie schließlich für die netzpolitischen Entwicklungen der letzten Zeit zur Verantwortung zu ziehen ist. Hier ein Auszug aus der Laudatio, die begründet, weshalb Ursula „Zensursula“ ausgezeichnet wurde. Ursula von der Leyen hat
„in den letzten zwölf Monate ein System zur Inhaltskontrolle im Internet vorangetrieben, das zu einer Technik von orwellschen Ausmaßen heranwachsen kann. Dazu, und für ihren persönlichen Wahlkampf benutzte sie das Leid sexuell missbrauchter Kinder, ohne tatsächlich irgendetwas gegen Missbrauch zu unternehmen.“ (zur vollständigen Laudatio)
An Wolfgang Schäuble wurde eine ganz besondere Auszeichnung vergeben: für sein Lebenswerk. Der Laudator Rolf Gössner erörterte, dass
Wolfgang Schäuble in diesem Jahr, zum (mutmaßlichen) Ende seiner politischen Karriere als Bundesinnenminister, der BigBrother-Lifetime-Award für langjährige „Verdienste“ gebührt – wohlwissend, dass wir im Rahmen der Verleihung dieses Negativpreises einer solchen Persönlichkeit und seiner bisherigen Lebensleistung bei Weitem nicht gerecht werden können. (hier die komplette Laudatio)
Herzlichen Glückwunsch an all die glücklichen Preisträger! Hoffentlich lernen sie etwas daraus. Dennoch wage ich dieses zu bezweifeln. Unter der neuen Regierung wird es genauso weitergehen, auch wenn zurzeit eine vermeintlich netzneutralere und freiere Politik als unter von der Leyen und Schäuble entwickelt werden soll.
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